Nonchalant desillusioniert
Ist Ihnen das auch schon mal passiert: Jemand stellt Ihnen ohne böse Absicht eine Frage, und Sie kriegen sie irgendwie in den falschen Hals und denken plötzlich, Sie müssten über den Sinn Ihres Lebens Auskunft geben? Und stehen völlig blank da?
Was bisher Gewissensnot, adrenalingeschwängerten Hirnaktionismus und Händeringen auslöste, findet nun eine Lösung in Dominique As Chanson „Le Sens“: „Ich will mich nirgendwo hinunterstürzen / Ich will mir nicht die Kugel geben / Ich existiere lieber / Auch wenn es so gut wie nichts bringt // Ich atme gern / Ich fühle mich gern dreckig / Ich habe gern Glück / Und lasse mich gern küssen / Aber klar, wenn ich darüber nachdenke / Hat das alles wenig Sinn“. In dem Eröffnungssong seines neuen Albums „La Musique“ gibt sich der französische Chansonnier so nonchalant desillusioniert, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Kein Blatt passt zwischen Stimme und Text. Das ist schön, und die Wirkung definitiv lebensbejahend.
Dominique A bleibt sich mit seinen treffenden Worten selbst treu, schließlich ist er einer der zentralen Figuren des französischen Nouvelle Chanson. Schon mit seinem ersten Album sicherte er sich seinen Platz in der Geschichte der französischen Texter, als er den „Mut der Vögel, die im eisigen Wind singen“ („Le courage des oiseaux“) beschwor. Viele Stücke auf „La Musique“ behandeln sehr konkrete Themen mit geradezu literarischer Finesse. Das gespenstisch instrumentierte „Qui es-tu?“ beschreibt die Entfremdung in einer Beziehung. „Hasta que el cuerpo aguante“ entwirft das packende Porträt eines im Rausch lebenden und völlig entwurzelten Kosmopoliten. Andere Lieder wählen ein poetischeres Register, wie etwa „Des étendues“ – eine Hymne an die Freiheit -, oder der Titelsong des Albums.
Dominique A versteht es, seine Texte kongenial mit seinen Kompositionen zu ergänzen. Akustische Gitarren und eingängige Keyboardmotive öffnen Räume für seine präzise formulierten Stimmungsbilder. Eine düster sägende Hammondorgel und Noise-Effekte illustrieren Gequältheit und Zweifel. Dass dies alles sehr stilsicher und klischeefrei geschieht, ist nicht zuletzt der boîte à rythmes zu verdanken: Die Künstlichkeit von Drumcomputern wird in der französischen Musik spätestens seit Punk mit großer Selbstverständlichkeit gehandhabt – von Bérurier Noir bis Les Rita Mitsouko. Zunächst gewöhnungsbedürftig, können die Maschinen helfen, Musik von Schlagerseichtheit oder schwitzender Rockattitüde fernzuhalten.
Einen Grund der Sinnerfüllung hat Dominique A im oben zitierten Stück kokett ausgespart: Das Musikmachen. Als Hörer möchten wir seine Songschreiberqualitäten jedoch keinesfalls missen.
>> olian
Dominique A: „La Musique“ (Le Pop Musik/Groove Attack)
Publiziert in: FAZ, 6. Mai 2010