Münchner Genrefreiheit
In München sind G.Rag y los Hermanos Patchekos Lokalhelden. Beim Konzert zum aktuellen vierten Album „Lucky Goddamn” laufen die Kammerspiele über. Der bayerische Kultregisseur Franz X. Bogner (unvergessen: „Irgendwie und Sowieso”) verpflichtet die Band für den Soundtrack seiner Serie „München 7″, die prompt den Grimme-Preis bekommt. Und auch Oberbürgermeister Ude schätzt die Musiker, wenn er wieder mal seinem Hobby als Kabarettist fröhnt. Was muss das für eine Band sein, die sich über Generationsgrenzen hinweg in die Herzen der Menschen spielt?
Seit dem Jahr 2000 scharen sich ungefähr ein Dutzend Musiker um Andreas „G.Rag” Staebler. Der spielt wie alle anderen live im Sitzen und singt über ein Megaphon. Der Schlagzeuger bearbeitet „Schrott”, unterstützt von Percussion und Kontrabass, dazu gesellen sich Exoten wie Steeldrum, Banjo und Lapsteel. Nicht zu vergessen ein versierter Bläsersatz mit wahlweise Trompeten, Hörnern oder Melodicas. Das Repertoire gleicht einem musikalischen Wolpertinger. Es reicht von Hank Williams bis No Means No, liebevoll aufbereitet für diese eigenwillige Folk-Big-Band. Augenzwinkernd und undogmatisch lassen G. Rag und seine Mannen Outlaws, Traditionals und Punk-Spirit wieder auferstehen. Nahtlos fügen sich eigene Instrumentals und Songs ein, die in einem transnationalen Idiom intoniert werden. Auf den Platten klingt die Band so charmant untermotorisiert wie der alte Omnibus auf einem der früheren Cover. Der Sound entwickelt damit eine Wärme, die das genaue Gegenteil der aufgepeppten Retortenproduktionen aus dem Radio ist. Live entfalten G.Rag y los Hermanos Patchekos vor allem dank den Bläsern eine unwiderstehliche Präsenz. Der herzzerreißenden Soli wegen schimpft sich die erste Trompete nur noch „Die Sau”.
Weil es anstrengend ist, immer mit einer Band in der Größe einer Fussballmannschaft unterwegs zu sein, gibt es seit ein paar Jahren den Ableger Dos Hermanos. Ein Sponti-Projekt von G.Rag und dem Band-Gitarristen Jörg Wizigmann – ein Veranstalter beschrieb es einmal als „Lo-Fi-Verwirrung”. Tatsächlich ziemlich gewagt, wenn sich die beiden neben Gesang und Gitarrenspiel Straßenmusikern gleich die Schlagzeugfunktionen aufteilen. So rumpeln sie mäßig präzise, aber voll trashiger Inbrunst durch Songs von Woody Guthrie oder Trio. Zu den launigen Texten ihrer eigenen Kompositionen passt, dass sie zwischen den Stücken (unisono!) aus den Gedichten des Münchner Bohème-Schriftstellers Walter Rufer vorlesen. „Der Himmel ist blau, ich auch” heißt Rufers ursprünglich 1963 veröffentlichtes Buch, das den Dos Hermanos in die Hände fiel, die es nun zusammen mit dem Blumenbar Verlag neu auflegten. In lakonisch gereimten Tagebuchnotizen verewigte der trinkfreudige Poet seine Beobachtungen und Sinnsprüche, wie etwa folgenden Limerick von einem 12. Mai: „Ehe sie eine Ehe war / war ihre Beziehung wunderbar / und dann: / nur noch dann / und wann.” Keine große Dichtung also, eher verkaterte Lebensweisheiten mit Dada-Appeal und beim Leser so mancher Lacher über eine gute Portion absurden Humor.
Über die Bemerkung, ihre Projekte würden poppiger, können die Musiker des G.Rag-Mikrokosmos ebenfalls nur herzlich lachen. Sie wissen wohl einfach, woher sie kommen – Punk-Combos, Indie-Bands, Blaskapelle -, und das macht jede Theoriediskussion über das Lieblingsunwort der Jugend(?)-Kultur überflüssig. „Freunde selbstgemachter Unterhaltung” lautet das Motto ihres kleinen Labels Gutfeeling Records: Sie wissen, was sie tun, vor allem aber tun sie es gern. Das merkt man.
olian
Infos:
G. Rag y los Hermanos Patchekos: „Lucky Goddamn” (Gutfeeling Records / Broken Silence)
Walter Rufer: „Der Himmel ist blau, ich auch” (Blumenbar), mit Dos Hermanos-CD „Walter Rufer EP”
Publiziert in: FAZ, 10. Mai 2008